Durch die
Pferdeschlippe
Es könnte etwa im
Jahre 1936 gewesen sein.
Im Winter musste
der Arzt zum Bruder meines Großvaters kommen. Der Doktor verschrieb ihm eine
Medizin, die man nur in Mutzschen in der Apotheke bekam.
Ich sollte
zusammen mit meiner Cousine Olga mit dem Rad dorthin fahren. Auf dem Hinweg
ging es gut voran, Schnee lag nur wenig und so konnten wir mit den Rädern (die
übrigens zu groß für uns waren!) einigermaßen fahren.
Dann verzögerte
sich in der Apotheke die Herstellung der Medizin und der Abend rückte näher.
Als wir endlich zurück fahren konnten, brach die Dunkelheit herein und es fing
an zu schneien.
Bald mussten wir
die Räder schieben, der Schneefall wurde immer dichter und kalt war es auch! Und
so erreichten wir auf dem Rückweg den Wermsdorfer Wald, schimpfend auf das
Wetter, die Kälte, den kranken Reinhold, dessen Medizin wir ihm bringen
sollten!
Reinhold war
eigentlich beliebt bei uns Kindern. Er erzählte gern Geschichten an den langen
Winterabenden, dabei knisterte das Holzfeuer in seinem Ofen und Bratäpfel
dufteten durch die kleine Stube. Manchmal waren es schon verrückte Sachen, die
er uns weismachen wollte! Und auch gruslig war es oft, ganz besonders die
Geschichte vom Reiter ohne Kopf, der in der Nacht durch die Pferdeschlippe
reitet.
Gerade dieser Weg
im Wald – eine Abkürzung, wenn man nach Mutzschen wollte oder von dort zurück
kam – lag nun noch vor uns!
Wir frohren immer
mehr, schimpften immer lauter, auch um uns Mut zu machen. So hetzten wir so
schnell es ging durch die Pferdeschlippe, die Räder durch den inzwischen hoch
liegenden Schnee schiebend.
Was waren wir
froh, wenig später aus dem Wald auf die Straße zu kommen und dann auch schon
bald die ersten Lichter der Häuser von Sachsendorf zu sehen!
Dieses Erlebnis
hat sich tief eingeprägt. Heute noch, nach über 70 Jahren, ist es mir
gegenwärtig. Doch mittlerweile kann man darüber lachen – damals war uns mehr
zum Heulen zu Mute!
©
2008 by J.B.
(Pferdeschlippe:
im sächsischen Sprachraum wird der Begriff „Schlippe“ oft gebraucht, um einen
schmalen Durchgang zu bezeichnen, mögliche Ableitung von durch-„schlüpfen“?)