Ein Wochenende in der Lausitz
Neustadt/Spree. An einem frostigen Morgen stehen wir in einer Heidelandschaft, der sandige Boden ist von tiefen Spurrinnen zerfurcht und einige Kilometer südlich steigt Wasserdampf aus den dicken Kühltürmen des Kraftwerkes Boxberg. Hier beginnt unser Tagesmarsch durch ein menschenleeres Gebiet mit rekultivierten Tagebauflächen, Restlöchern mit See-Zukunft und gesperrtem Truppenübungsplatz. Nicht jedermanns Sache, doch die sich hier treffen haben ein gemeinsames Interesse – die Wahlheimat der Wölfe in Deutschland kennenzulernen.
Anstoß zu
diesem Ausflug war ein Artikel in der LVZ im Dezember vergangenen Jahres, der
über die Einwanderung des Wolfes und die Arbeit der Biologinnen Gesa Kluth und
Ilka Reinhardt in der Lausitz berichtete.
So kam es,
dass am dritten Januarwochenende 18 Leute ein sehr interessantes und
informatives Seminar besuchen konnten, bei dem ein Tier im Mittelpunkt stand,
das vor 100 Jahren in Deutschland restlos ausgerottet worden war.
In den
Vorträgen erfuhren wir, dass seit 2002 die Wölfe nachweislich dauerhaft hier
leben und durch Nachwuchs mittlerweile etwa 15 Tiere in dem Gebiet der Muskauer
Heide und der Gegend zwischen Neustadt und Bärwalde heimisch sind. Dies ist
deutschlandweit einmalig, zumal die Zuwanderung aus Richtung Polen ganz auf
natürlichem Wege begann, also keine Förderung durch den Menschen erfolgte.
Der
Freistaat Sachsen reagierte und als Projekt des sächsischen Ministeriums für
Umwelt und Landwirtschaft entstand das Wildbiologische Büro „Lupus“ in Neustadt
mit den beiden Biologinnen Kluth und Reinhardt.
Die
fachliche Kompetenz und der persönliche Einsatz der beiden Frauen sind
bemerkenswert. Besonders unter den schwierigen Bedingungen - der Nähe von
Nutztieren und Menschen - sind sie vor Ort als Berater, Helfer, Aufklärer und
Vermittler unentbehrlich und rund um die Uhr im Einsatz.
Dennoch
nahmen sie sich die Zeit, auch dem deutschlandweiten Interesse nachzukommen und
uns an den drei Seminartagen umfassend zu informieren und gemeinsam mit
Organisator Karsten Nitsch herzlich zu betreuen.
Zurück zu
dem kalten Morgen und der Exkursion durch das Wolfsgebiet. Unsere Gruppe von 10
Leuten geht zu Fuß auf Spurensuche, denn das ist fast alles, was man von den
vorsichtigen Tieren zu sehen bekommt. In der Gegend gibt es ausreichend
Rotwild, Wildschweine und Rehe – die hauptsächliche Beute der Wölfe, was durch
Kot-Analysen nachgewiesen wurde.
Spuren
dieser Beutetiere gibt es überall zu sehen – und dann endlich auch eine
Wolfsspur! Sie ist allerdings schon einige Tage alt und von einem einjährigen
Welpen – so erklären es uns die Fachleute. Und wir als Laien lernten nach und
nach die Spuren immer besser zu erkennen und zu beurteilen.
Erst nach
dem Mittag – ein Biwak im Freien, geschützt hinter einem Erdwall – und drei
Stunden Wanderung haben wir Glück: Frische Spuren, sicher erst vor wenigen
Stunden entstanden! Spannende Augenblicke, bis wir sicher wissen, dass hier ein
erwachsenes Tier mit vier Welpen vom Vorjahr unterwegs war.
Alle
Teilnehmer haben das Gefühl, wir sind nicht allein hier! Ein aufregender
Moment, in dem man diesem faszinierenden und interessanten Tier plötzlich so
nah sein kann.
Der Wolf
ist kein blutrünstiges Ungeheuer, er jagt und schlägt seine Beute, um zu
überleben. Die Menschen gehören nicht in diese Zielgruppe, wir werden eher
gemieden. Und dennoch wären wir in diesem Moment froh gewesen, wenn uns das
Rudel vielleicht heimlich beobachtet hätte! Sicher war das nicht so, denn wie
uns Gesa Kluth erklärte, sind Wölfe nicht an Kontakten mit Menschen
interessiert, solange sie ausreichend Rückzugsräume haben.
Als wir am
späten Nachmittag nach einer Tour von 17 Kilometern in der freundlichen Pension
„Zum Hammer“ in Neustadt eintreffen, sind alle leicht geschafft aber voller aufregender
und einmaliger Eindrücke dieses Tages.
Einen Wolf
zu sehen, das war sicher kaum zu erwarten, selbst den beiden Biologinnen gelang
das bisher nur 4 (!) mal. Dennoch haben wir viel von einem uns fremden und doch
einst einheimischen Tier erfahren.
Der Wolf
hatte einmal zusammen mit Bär und Luchs eine wichtige regulierende Funktion in
der Natur, nur der Mensch wurde sein grösster Feind und eine Konkurrenz, die
ihn mit Kugeln, Schlingen und Gift verdrängen konnte.
In
Deutschland wurde 1904 bei Hoyerswerda der letzte freilebende Wolf getötet.
Seitdem gab es nur selten Einzelgänger, die auf Reviersuche waren aber nie
dauerhaft blieben. Bis eben hier in der Lausitz nachweislich eine Wolfsfamilie
ihren neuen Wohnsitz nahm – eine kleine Sensation für die Naturschützer und
Biologen, die auch international beachtet wurde.
Der lange
Exkursionstag fand dann am Abend einen Abschluss, der so richtig zum Thema Wolf
passte. Gegen 21 Uhr waren alle noch mal unterwegs – 3 km in den nahen Wald
hinein. Dort auf einer Lichtung wollten wir die Wölfe animieren, auf unser
Wolfsgeheul zu antworten. Alle verhielten sich still – etwa eine Stunde
warteten wir angespannt - leider vergebens – auf eine Antwort aus dem Wald.
Man sollte
mehr wissen, um besser zu verstehen – auch das nehmen wir als Erkenntnis von
diesem einmaligen Naturerlebnis mit nach Hause.
Die
Aufklärungsarbeit der Gesa Kluth und ihrer Kollegin Ilka Reinhardt steht erst
am Anfang – nicht immer wird das Raubtier Wolf so wohlwollend betrachtet wie
von den 18 Seminarteilnehmern an diesem Wochenende.
Doch alle
waren sich zum Abschluss einig – das Projekt sollte Unterstützung finden. Ein
„Freundeskreis der Lausitzwölfe“ soll dabei mithelfen.
Der Mensch
hat schließlich schon sehr viel von der Natur genommen – es ist an der Zeit,
etwas zurückzugeben.
Weitere Informationen
zu dem Thema findet man unter www.lausitzer-woelfe.de
.
Birgit und Rolf Burkhardt; im Januar 2004